Über ID Festival

ID FESTIVAL 2022: SCHAWUOT

In der Bibel beginnt der hebräische Kalender mit dem Monat Nisan, der den Beginn des Frühlings markiert. Im 1. oder 2. Jahrhundert n. Chr. wurde einfach beschlossen, das neue Jahr auf den Monat Tishrei im Herbst zu verlegen. Der Monat Nisan ist jedoch weiterhin mit einem wichtigen Feiertag gut versorgt: Pessach. In der Monatsmitte, wenn der Vollmond von Nisan steht, erzählt das jüdische Volk den Gründungsmythos seiner Nation, den Exodus. Am nächsten Morgen beginnen sie mit dem Zählen von sieben Wochen. So feiern wir fünfzig Tage nach Pessach Schawuot, das Fest der Ernte.  

Moderne Forscher weisen auf eine Fülle von Parallelen zwischen den Praktiken und Traditionen verschiedener ethnischer Gruppen in der antiken Region des Nahen Ostens hin. Das aus dem Judentum hervorgegangene Christentum legt mit Pfingsten sein Gedenken an die Herabkunft des Heiligen Geistes ebenfalls auf den 50. Tag nach einem grundlegenden Ereignis: Ostern. Im Jahr 2022 fallen Schawuot und Pfingsten auf den 5. Juni – dem Tag, an dem wir das ID Festival feiern wollen.  

Neben dem landwirtschaftlichen Aspekt von Schawuot besteht der Hauptgrund des Feiertags darin, dass an diesem Tag die Thora – das Buch der Bücher – Moses und den Israeliten am biblischen Berg Sinai offenbart wurde. Pessach steht für das Ende der Versklavung und Schawuot für die (Um-)Gründung ((Trans)formation) eines Volkes mit dem epischen Empfang der Zehn Gebote.  

Transformation steht auch im Mittelpunkt  unseres diesjährigen Festivals. In Anlehnung an den Feiertag und seine Tradition der Lesungen stellt unser Programm in der MIFGASHIM-Reihe Geschichten, Gedichte und Texte in den Vordergrund: Dory Manor und Eran Zur widmen sich dem Übersetzungsprozess von Poesie zur Musik. Mati Shemoelof stellt in einer Schreibwerkstatt die visionäre Kraft des mehrsprachigen Schreibens vor. Und der Fotograf Benyamin Reich macht anhand des traditionell an Schawuot gelesenen Buchs Ruth sichtbar, wie die hier beschriebenen, verbotenen sexuellen Liaisons Katalysator für große Transformationen sein können.

Wir alle warten auf positive Veränderungen. Das Leben bedeutet Veränderung, und die Erwartung positiver Entwicklungen ist meiner Meinung nach insgesamt ein wünschenswerter Modus Operandi. Ich bin überzeugt, dass wir uns am 5. Juni persönlich treffen können. Endlich. Während ich dies schreibe, ist die Zahl der Pandemiefälle weltweit in die Höhe geschossen.

Und dann sind da noch die Katastrophen des laufenden russisch-ukrainischen Krieges. Wir können nur hoffen, dass bis zum Festivalbeginn die Verhandlungen zwischen den Parteien diesem furchtbaren Desaster ein Ende bereitet haben.

Schawuot. Es war eines der drei biblisch vorgeschriebenen Pilgerfeste. In der Nach-Tempel-Ära gibt es an Schawuot keine spezifischen Gesetze mehr, sondern nur noch die Tradition, Milchspeisen zu essen und „in einem Zustand der Freude zu sein“. Das ID Festival 2022 hat sich beides fest vorgenommen: 

Bei Sonnenuntergang kommt mit  Eran Zur, einem der bekanntesten israelischen Singer-Songwriter, gleich ein ganzes Arsenal renommierter israelischer Musiker:innen auf die Bühne. Unter dem Titel Die Kreuzberg Sonate werden Passagen aus Tolstois Kreutzersonate rezitiert, die 1916 im einst bedeutenden Zentrum des Judentums, der belarussischen Stadt Pinsk, erstmals ins Hebräische übersetzt wurde. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Tolstois Passagen bei der damaligen Schawuot-Feier rezitiert wurden. Die Veranstaltung zog einen Großteil der jüdischen Bevölkerung von Pinsk an, und ich könnte mir gut vorstellen, dass auch die Familie meiner dort geborenen Großmutter an dieser Feier teilnahm. 

In Anschluss an Rock und Prosa der Extravaganz können wir im Kultursalon FRAMED @ ID Festival bei einer Ausstellung, Live-Malerei und Auftritten der gefragtesten jungen Bands der Tel Aviver Musikszene Schawuot-Milchköstlichkeiten probieren und mit einem Glas Wein anstoßen.

Wir – die Künstler:innen, die Teilnehmer:innen und das Festivalteam – freuen uns schon sehr darauf, Sie/Euch alle beim ID Festival: Schawuot persönlich zu begrüßen.

~ Ohad Ben-Ari, Gründer & Künstlerischer Leiter

© Merav Maroody

Unsere Geschichte

Das ID Festival wurde 2015 mit dem Ziel gegründet, israelischen Künstler*innen eine Plattform zu bieten, auf der sie ihre Werke einem lokalen Publikum präsentieren können. Das »israelisch-deutsche« Festival hebt die Verbindung zwischen dem »I« und dem »D« als Paradigma der Hoffnung, des Wandels, der Toleranz und des Verständnisses hervor. Es fördert die Zusammenarbeit zwischen israelischen und lokalen Künstler*innen und Kunstinstitutionen, wobei auch Brücken zu anderen Minderheiten in Deutschland gebaut werden sollen.

© Bureau Hoyer
© Adar Aviam & Charlotte Sauvaget
© Adar Aviam & Charlotte Sauvaget
© Adar Aviam & Charlotte Sauvaget