/ENDING_REBIRTH_GROWTH/Edition #7

Mit dem ID Festival #7 ist die Reise abgeschlossen. Es ist die letzte Ausgabe.

Die Sieben hat seit Anbeginn der Zeit eine kulturelle Bedeutung.

Vor viertausend Jahren, in der mesopotamischen Kultur, galt die Sieben als mystisch. Im alten Ägypten gab es sieben Wege zum Himmel und sieben himmlische Kühe, und Herr Osiris führte seinen Vater durch die sieben Hallen der Unterwelt. Pythagoras, der Vater der Mathematik und Numerologie, betrachtete die Sieben als die spirituellste aller Zahlen.

Im Judentum hat die Sieben so große Bedeutung, dass dem jüdischen Volk der Spitznamen „das Volk, welches das Siebte heiligt“ zugesprochen wurde. Die Liste der Dinge, die durch diese Zahl ausgedrückt werden, ist unglaublich umfangreich. Aufbauend auf dem Judentum hat das Christentum die meisten beibehalten und die sieben Todsünden hinzugefügt. Der islamische Koran spricht von sieben Himmeln, und die Pilger umrunden die heiligste Stätte des Islam in Mekka sieben Mal. Auch in der hinduistischen Kultur gibt es sieben höhere Welten und sieben Unterwelten und im Buddhismus erhebt sich der kleine Buddha und macht sieben Schritte. Konfuzianist:innen betrachten die Sieben als eine Darstellung der Harmonie, die von Yin, Yang und den fünf Elementen, und in Japan wird sie mit den sieben Glücksgöttern assoziiert. Apropos Glück: 777 an den Spielautomaten in Las Vegas bedeutet: „Jackpot“. Es gibt die sieben Weltwunder, sieben Noten in der do-re-mi-Tonleiter, sieben Kontinente, sieben Meere und die sieben Farben des Regenbogens.

Die Sieben wird nun auch mit dem Oktober in Verbindung gebracht. Die Ereignisse des 7. Oktober 2023 haben uns daran erinnert, dass bestimmte Dinge im Leben, und vor allem das Leben selbst, endlich sind. Wir haben uns in letzter Zeit viel zu oft damit auseinandersetzen müssen: zuerst mit Covid, dann mit dem anhaltenden Krieg in der Ukraine. Nun führen uns der Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober und der darauffolgende Krieg diese Tatsache erneut eindringlich vor Augen.

Ohne es zu vorherzusehen, wurden wir mit verschiedenen “Endsituationen“ konfrontiert, von denen viele furchterregend waren. Letztes Jahr fürchteten die Menschen das Ende Israels als Demokratie. Am 7. Oktober waren wir entsetzt über die Aussicht auf die Vernichtung des jüdischen Staates selbst, mit all ihren möglichen Folgen und Auswirkungen auf die Juden weltweit. Es war fast so weit, und zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes steht die Gefahr weiterhin unmittelbar vor Augen.

Dies sind extreme Umstände, und die Kunst – die oft als Spiegel des Lebens betrachtet wird und von der daher erwartet wird, dass sie auf reale Ereignisse reagiert und antwortet­ – führt uns unter extremen Umständen zu der Frage, ob sie das geeignete Medium für eine Antwort ist.

Das ID Festival #7 beginnt mit genau dieser Frage. Der Angriff der Hamas am 7. Oktober rief das kollektive Trauma des Holocaust erneut hervor, und zum Auftakt des diesjährigen Programms reagieren zwei Veranstaltungen auf diese beiden kollektiven Traumata: „writingSITUATIONs“ fragt, wie Autor:innen nach dem 7. Oktober schreiben können, und „BECOME CHOIR“ stellt Adornos Verdikt in Frage, dass nach Auschwitz keine Poesie mehr geschrieben werden kann.

Am zweiten Tag nehmen wir die israelische Politik mit satirischen Mitteln unter die Lupe, und zwar mit dem wohl skandalösesten Stück der israelischen Theatergeschichte. Die brillante Besetzung des Jaffa Theatre präsentiert eine Neuinterpretation von Hanoch Levins Werk „SHAMPOO QUEEN“. Fünfzig Jahre liegen zwischen der Uraufführung des Stücks und unserer Deutschlandpremiere. Man kommt nicht umhin, darüber nachzudenken, wie die Geschichte nachhallt: Unter den Militanten und Nationalisten in der israelischen Gesellschaft herrschte vor Oktober 2023 wieder eine Selbstgefälligkeit wie in den Tagen vor dem Jom-Kippur-Anschlag 1973. Flasche Urteile und Fehleinschätzungen hochrangiger Persönlichkeiten in Israels militärischer und politischer Führung, in den Geheimdiensten und in der Regierung – all das hallt durch die Zeit. Es scheint, als gäbe es mit Levins „Shampoo“ jetzt noch mehr zu „schrubben“.

Die Frage nach der Widerstandsfähigkeit der Demokratie sowie die Untersuchung der komplexen Dynamik, die sich zwischen menschlichen und künstlichen intelligenten Formen herausbildet, stehen im Mittelpunkt von „Smoke and Mirrors“, einer Ausstellung, die an allen Festivaltagen für Besucher:innen zugänglich ist.

Am dritten Tag des Festivals wird sich der Nebel langsam lichten. Schließlich ist es unsere letzte Ausgabe und wir wollen die Reise mit einer positiven Note abschließen. Obwohl wir uns thematisch auf das Ende konzentrieren, wollen wir postulieren, dass ein Ende nicht notwendigerweise etwas Endgültiges ist; wir wollen „Enden“ als Potential für positive Veränderungen neu gestalten. „ARETZ“ postuliert zum Beispiel ein anderes Ende von Herzls Vision eines jüdischen Staates. „Wenn Ihr wollt, ist es kein Traum“, lautet das berühmte Zitat aus Herzls bahnbrechendem Werk „Altneuland“. Leider haben sich nur wenige mit dem Hintergrund dieses Zitats befasst, wie auch mit dem Rest von Herzls Schriften. Die theoretische Graphic Novel „ARETZ“ könnte ein neues Licht darauf werfen.

Später am Abend feiern wir die multinationale Verständigung in „MIRI BEN-ARI: SYMPHONY OF BROTHERHOOD“ – ein Dreiklang der Toleranz zwischen deutschen, Schwarzen und jüdischen Menschen. Nach diesem Höhepunkt mit einem 50-stimmigen Gospelchor, einer Musikband und Solist:innen sowie einer Grammy-prämierten Geigerin gehen wir nahtlos über in das Open-Stage-Event „LIGHTS OUT?“. Die Acts, Künstler:innen aller Sparten, Hintergründe und Nationalitäten, werden von unserem Expert:innenteam aus den zahlreichen Einsendungen auf unsere offene Ausschreibung speziell für Euch/Sie kuratiert.

Am Sonntag schließen wir, indem wir Frieden schließen: Frieden mit uns selbst, unserer Seele und unserem Geist, Frieden mit unseren Nachbar:innen und Frieden mit der Welt und der Realität, in der wir leben. Das Playback-Theater, ein fesselndes Format, lädt die Zuschauer:innen ein, ihre reale Vergangenheit zu erleben und über ihre eigenen Erinnerungen und Erfahrungen nachzudenken – seien sie belebend, herausfordernd oder sogar traumatisch. Diese Momente entfalten sich vor den Augen des Publikums durch die Kunstfertigkeit einer Gruppe von Playback-Theater-Profis. Wir werden unsere siebte und letzte Festivalausgabe dann mit dem musikalischen Heilungskreis „SACRED RIVERS“ abschließen, der alle einlädt, mitzumachen und zusammen eine höhere Ebene zu erreichen.

Dies ist vielleicht eine gute Stelle, um zu enden, aber nicht bevor ich einige Danksagungen ausgesprochen habe:

Zuallererst muss ich dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse danken, ohne dessen Initiative und Unterstützung das ID Festival nie zustande gekommen wäre. Dankbar bin ich auch Katharina und Ingo, die geholfen haben, das Projekt auf den Weg zu bringen. Danke an meine Frau und Muse Anastasia, meine Partnerin für alles, auch für diesen Text. Seit Beginn der Reise bist du meine unerschütterliche Stütze.

Ein aufrichtiges Dankeschön an die Sponsoren des Festivals und an alle, die das Festival unterstützt haben; an unsere Partner:innen und Medienpartner:innen; an die unterstützende Musikabteilung des BKM; an unseren großartigen Veranstaltungsort und Partner, das Radialsystem, seine Manager:innen und alle Mitglieder seines Teams; an die über 500 Künstler:innen, die die ID-Bühnen beehrt haben; an alle früheren und jetzigen Mitglieder des ID-Festival-Teams, die unermüdlich daran gearbeitet haben, es zum Leben zu erwecken; und nicht zuletzt an alle Besucher:innen.

Ich danke Euch und Ihnen und freue mich auf ein Wiedersehen beim Festival!

~ Ohad Ben-Ari, Gründer & Künstlerischer Leiter

UnsereGeschichte

Das ID Festival wurde 2015 mit dem Ziel gegründet, als Plattform für israelische Künstler zu dienen, um ihre Werke einem lokalen Publikum zu präsentieren. Das „Israel-Deutschland“ Festival betont die Verbindung zwischen dem „I“ und dem „D“ seines Akronyms als ein Paradigma für Hoffnung, Veränderung, Toleranz und Verständnis. Es fördert die Zusammenarbeit zwischen israelischen Künstlern und lokalen Künstlern sowie Kunstinstitutionen, wobei besonderer Fokus auf dem Aufbau von Brücken zu anderen Minderheitengruppen in Deutschland liegt.

© Luca Bogoni
© Bureau Hoyer
© Adar Aviam & Charlotte Sauvaget
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